Liebe Nachbarin!
Sie baten mich, Ihnen einmal an einem Beispiel zu zeigen, was Armut in Afrika bedeuten kann. Natürlich nimmt Armut viele Formen an, doch das Phänomen der Bettelkinder berührt viele besonders.
Ab sieben Uhr morgens verlassen sie ihre Unterkünfte bei sogenannten „Marabouts“, dreckig und mit kleinen Plastikschüsseln für milde Gaben in der Hand, um den ganzen Tag über auf der Straße zu betteln. Die „heiligen“ Marabouts brauchen sie also nicht zu versorgen, kassieren dafür aber abends die Geldspenden ein. Offiziell ist solches wildes Betteln außerhalb eines Umkreises von Moscheen verboten. Aber die religiösen Potentaten stehen hier über dem Gesetz. Internationale Hilfsorganisationen haben diesen Missstand schon oft angeprangert, doch gegen die Machtverhältnisse können weder sie noch Politiker sich durchsetzen. Einige von diesen Bettelkindern können später bei den sogenannten „Marabouts“ Karriere machen und als „Betteljugendliche“ oder junge Männer lautstark durch die Straßen ziehen, in voller bunter Bettelmontur, ein Konterfei ihres Marabouts auf einer Schachtel vor der Brust, Gri-Gri-Zauberbeutel auf der Kleidung und immer eine Kalebasse mit Münzen in der Hand kräftig schwenkend, damit man das Klimpern der Münzen schon von weitem hört. Alle – ob Kinder oder Jugendliche – arbeiten sehr systematisch als Gruppen an umsatzstarken Orten in der Nähe von Geschäften, Tankstellen und Märkten. So kommen bedeutende Umsätze zustande.
Das Geschäftsmodell „Betteln“ findet unter den Auspizien eines uralten Polytheismus statt. Der Gott Mammon war schon in Qumran bekannt. Mein Erbarmen zeige ich den Bettelkindern monotheistisch, indem ich sie freundlich grüße (meistens bleiben auch sie freundlich) und Gott um seinen Schutz für die nicht selten barfuß laufenden Kinder bitte. Dazu erhebe ich beide Hände und blicke zum Himmel, bewege die Lippen leicht. Oft vergessen sie dann ihre Bettelroutine und beginnen nachzudenken.
Ähnlich versuche ich auch in Deutschland, die Bettelroutine von organisierten Bettlern zu überwinden. „Soll ich Ihnen etwas zu essen bringen? Möchten Sie auch etwas trinken?“ Beim ersten Mal war ich sehr erstaunt, dass ich prompt ein Nicken als Antwort bekam. Ich besorgte einen kulturell wie kulinarisch unverfänglichen Imbiss; leicht zu transportieren musste er ebenfalls sein. Belohnt wurde ich mit einem Blick zum Himmel und zum Dank gefalteten Händen. Eine Geste, die ich immer erwidere. Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …